Satanismus als Selbstfindungstrip

Black Metal

In der ersten Folge unserer Reihe über Metal-Comics widmet sich Sven Treiber einem etwas in die Jahre gekommenen Schmuckstück aus deutschen Landen: BLACK METAL von Niki Kopp und Timo Wuerz. Die Geschichte wartet mit jeder Menge Schminke, Leder, exzessiver Gewalt und dramatischen Wendungen auf und bietet also alle Zutaten für einen gemütlichen Leseabend.

Wie Surferinnen lassen sich die drei Schülerinnen Asako, Corky und Nina von einem Trend zum nächsten tragen. Ihr Leben im Berlin des beginnenden Jahrtausends ist eine einzige Party, bis sie eines Tages – der Titel lässt es schon vermuten – Kontakt mit der Black Metal-Szene haben und sich von einem Tag auf den anderen alles ändert.

Niki Kopp und Julia Niemann-Kopp gehen in ihrer Erzählung den Klischees einer typischen Coming of Age-Geschichte aus dem Weg. Stattdessen erleben wir die dynamischen, aber identitätssuchenden Drei anfangs in ihrer Wohngemeinschaft oder begleiten sie zu ihren Wochenend-Exzessen in Retro-Discos, wo das Kollektiv seiner Bestimmung hinterherjagt, Drogen natürlich inklusive – also das vollkommen normale Leben dreier Minderjähriger ohne Aufsichtsperson.

Nachdem einem ziel- und ergebnislosen Schlingern durch die Techno-, House-, Rockabilly- und Hardcore-Szene (um nur einige zu nennen) ist es dann völlig überraschend der Black Metal, der das Identitätsvakuum zu füllen vermag. Die Frage nach dem Warum beantwortet das Ende des ersten Kapitels, das mit einer vom Zeichner Timo Wuerz fantastisch in Szene gesetzten, emotionsgeladenen Splashpage endet.

Das mehr oder weniger ernsthafte Spiel mit dem Satanismus, das für Black Metal-Fans einen Großteil der Faszination ausmacht, Außenstehende aber eher vor den Kopf stößt und zur Veröffentlichungszeit des Comics heftige gesellschaftliche Diskussionen auslöste, spielt im weiteren Verlauf der Geschichte übrigens kaum eine Rolle. Aber klar, ein wenig Klischee muss sein. Also darf sich der geneigte Leser auf das Umdrehen von Kreuzen auf dem Friedhof oder das Anzünden einer Kirche freuen.

Und auch an exzessiver Gewalt gibt es in dem Comic keinen Mangel. Weil es zum Black Metal eben irgendwie dazugehört, verfallen die drei unvermittelt in ein brutales, soziopathisches Verhalten – was für den Leser schwer zu verstehen ist, da die Story sich leider keine Zeit für eine nachvollziehbare Charakterentwicklung nimmt.

Von heute auf morgen formieren sich die drei jungen Frauen also zu einer Black Metal-Band mit Schminke, Leder und allem, was dazugehört. Ob sie sich das alles im passenden VHS-Kurs angeeignet haben, bleibt leider zwischen den Panels verborgen. Nach ein wenig Proben geht es natürlich gleich zu einem Live-Auftritt inclusive Blutspucken und Selbstverletzung. Die so entfachte Gewaltspirale dreht sich vollkommen übertrieben von Kapitel zu Kapitel weiter, bis schließlich auch ein Menschenleben nichts mehr wert ist. Zeigt sich hier die Unterwerfung unsicherer Jugendlicher unter die Ideologie des Black Metal, blanke Mordlust, ein ins maßlose übersteigerter Wunsch nach Selbstverwirklichung oder – ach ja – wahrscheinlich doch nur die übertriebene Fantasie der Autoren?

Nach allerlei Musik, Blut, Verrat, Mord und Totschlag findet der Comic im letzten Kapitel etwas zur Ruhe. Dort wird man Zeuge eines durchaus interessanten Dialogs zwischen dem Sänger der fiktiven Black Metal-Band Antartica und einer der Protagonistinnen. Er beklagt, wie der Black Metal – für ihn selbst nicht nur künstlerische Ausdrucksform, sondern Lebensinhalt und Ausdruck seiner Überzeugungen – durch den Hype zum glattgebügelten Mainstream verramscht und kommerziell ausgebeutet wurde. Wäre interessant, dieses Statement den Autoren des Comics heute nochmal vorzulegen und zu schauen, ob sie unter dem Corpse Paint rot werden, aber manchmal ist das Werk ja auch schlauer als sein Schöpfer.

Allein wegen seiner sprunghaften Handlung mit Logiklöchern, die ganze norwegische Stabkirchen verschlucken könnten, wäre der Comic sicher keinen zweiten Blick wert. Glücklicherweise gibt es aber noch die Zeichnungen von Timo Wuerz. Gerade in den Live-Musik-Szenen überzeugen sie durch eine unglaubliche Intensität und retten den Leser über viele erzählerische Abgründe hinweg. Insbesondere wenn Wuerz anfängt, die klassische Panelstruktur aufzulösen, und die digital nachbearbeiteten Gemälde sich wie ein episches Riff über die Seite ausbreiten, kommt er der ungebremsten Emotionalität eines live erlebten Konzerts schon sehr nahe.

Fazit: Ein optisch mehr als ansprechender Comic, der trotz interessanter sozialkritischer Ansätze an seiner hohen Erzählgeschwindigkeit und damit einhergehenden mangelnden Charakterentwicklung leidet. Für harte Metaler, Genre-Fans und deutsche Comicnerds aber dennoch eine klare Leseempfehlung.

Wertung: 3 von 5 vibrierenden Stromgitarren

Beim Lesen hören: Um das Leseerlebnis zu maximieren und so authentisch wie möglich zu halten, empfehlen sich – neben dem exzessiven Nutzen von Schminke – zwei Klassiker des Black Metal: Zum einen das 1984 erschienene Konzeptalbum „At war with Satan“ von VENOM, das den Krieg zwischen Himmel und Hölle beschreibt. Oder – passend zu Corkys T-Shirt im Comic – das 1985 erschienene Album „To Mega Therion“ von CELTIC FROST.

Unser Autor: Noch bevor er lesen konnte, entdeckte Sven Treiber seine Liebe zur neunten Kunst, was er bis heute seinem Vater dankt, der dem kleinen Racker auf einem Flohmarkt zwei Superheldencomics kaufte. Über vierzig Jahre, viel Naturwissenschaften und Pädagogik später, hat er die Begeisterung für das graphische Erzählen und Superhelden immer noch nicht verloren.

Die erste Berührung mit hartem Metal hatte Sven mit 14, als er bei der Reign in Blood-Tour von Slayer auf einer Heizung in der Halle stand, um besser sehen zu können. Seine musikalische Reise führte ihn im Laufe der Jahre über viel Trash und Speed Metal auch in die Regionen New Wave, Punk, Death Metal und Grunge. Und wie man bestimmt schon erahnt: Dabei hielt natürlich auch das ein oder andere Black Metal-Album Einzug in seinen Plattenschrank. Heute hört er vorwiegend Alternative Rock, am liebsten die Red Hot Chili Peppers und Placebo.

Black Metal
Niki Kopp, Julia Niemann-Kopp, Timo Wuerz / Popcom (Tokyopop)
Hardcover, 224 Seiten, 16 €

Alle Abbildungen © Niki Kopp / Timo Wuerz / TOKYOPOP GmbH 2018

Wer es mit historischen Originaldokumenten hat: die Erstveröffentlichungen aus dem längst dahingeschiedenen Infinity-Verlag sind antiquarisch auch noch zu bekommen.