Die Kraft des Heavy

Murder Falcon

Mit MURDER FALCON gelingt Daniel Warren Johnson etwas ganz Besonderes: sein vordergründig albern-krawalliger Action-Horror-Monster-Quatsch erweist sich auf den zweiten Blick als sensible Begegnung mit einem vom Leben beschädigten Charakter, als Lobgesang auf die Kraft der Musik – und als nostalgische Fundgrube für Freunde des klassischen Metal.

Jakes Leben ist ein Trümmerfeld. An einem schweren Schicksalsschlag, der ihm jeglichen Lebensmut geraubt hat, ist seine Band genauso zerbrochen wie seine Beziehung, und selbst die einst geliebte Gitarre staubt in der Ecke vor sich hin. Dass sich nun auch noch ein Riss in der Realität aufgetan hat, durch den bizarre Monstrositäten auf die Erde schwappen, spielt da schon fast keine Rolle mehr.

Um Jake zurück ins Leben zu bringen, braucht es also etwas mehr als ein Achtsamkeitsvideo auf Youtube. Einen zweieinhalb Meter großen, humanoiden Falken mit Stirnband und kybernetischem Arm zum Beispiel, der unvermittelt in Jakes Wohnung erscheint und dem verdatterten Kerl klarmacht, dass nur sie beide gemeinsam die Welt vor der Monsterapokalypse retten können.

Denn Murder Falcon – so der sprechende Name des militanten Vogels – kommt aus dem Heavy,  einer bizarren Sphäre jenseits unserer Wahrnehmung. Und eigentlich hat er alles, was es braucht, um den Monstern so richtig auf die Mütze zu hauen. Um seine enormen Kräfte zu aktivieren, ist er aber darauf angewiesen, dass Jake das Heavy anzapft und die dort vorhandenen Energien in unsere Dimension kanalisiert. Und so bleibt Jake gar nichts Anderes übrig, als sich die Gitarre wieder umzuhängen und drauflos zu schreddern, was das Zeug hält. Denn jedes Solo und jedes Riff entfesseln die Gewalten des Mörderfalken – je härter, desto besser! So ziehen Jake, dem die neue Aufgabe wieder einen Sinn im Leben gibt, und Murf, wie er bald schon kumpelhaft genannt wird, in die Schlacht gegen hausgroße Spinnenmonster, ekelhafte Tentakelwürmer und das Böse an sich.

Wenn die Handlung in dieser verkürzten Nacherzählung vollkommen aberwitzig klingt, dann liegt das vermutlich daran, dass sie es auch ist. Alle Fragen nach Plausibilität wischt Johnson mit seinem Over-the-Top-Ansatz von vornherein lächelnd beiseite. Und eigentlich würde dieser herrlich bunte Wahnsinn schon für ein außerordentlich unterhaltsames Leseerlebnis reichen. Aber MURDER FALCON hat noch deutlich mehr zu bieten. Jakes desolater Seelenzustand dient nicht nur als Aufhänger für die Story; er wird sehr ernst genommen und rückt schließlich sogar ins Zentrum der Erzählung. Und so ergeben sich, erstaunlich bruchlos eingewoben in die turbulente Geschichte, einige sehr berührende Momente, die nicht nur den Charakter der Hauptfigur sehr plastisch hervortreten lassen; sie thematisieren auch auf einer allgemeineren Ebene die Frage, was uns die Kraft gibt, uns den Stürmen entgegenzustellen, die das Leben für uns bereithält. Und jeder, der den Metal im Herzen trägt (oder sonst irgendwo zwischen Trommel- und Zwerchfell), der weiß sehr gut, dass man aus der ohrenbetäubenden Wucht eines Riffgewitters sehr viel von dem beziehen kann, was die Küchentischpsychologen heute Resilienz nennen.

Neben diesen inhaltlichen Qualitäten überzeugt der Comic auch auf der zeichnerischen Ebene. Johnsons schroffer Stil vermittelt wunderbar die rohe Energie des Heavy Metal. Wenn im Kampf mit den Höllenkreaturen die Fetzen fliegen, in den Panels die Soundwords und Speedlines explodieren und Mike Spicer bei der Kolorierung tief in den digitalen Farbtopf greift, meint man geradezu, das Sägen der Gitarren und das Hämmern des Double Bass zu hören.

Dass Johnson in der Welt des härteren Rock wirklich zuhause ist, merkt man seinem Comic übrigens auf jeder einzelnen Seite an. Immer wieder streut er kleine Easter Eggs für Metalheads ein – etwa wenn ein Panel ganz direkt ein legendäres Plattencover zitiert oder wenn sich im Musikladen zwei Verkäufer über die eminent wichtige Frage unterhalten, ob man St. Anger für eine gute Platte halten darf.

Wenn man überhaupt etwas Kritikwürdiges an MURDER FALCON finden möchte, dann höchstens, dass sich das Monstergeschnetzel phasenweise etwas hinzieht und man die Geschichte auch in sechs statt acht Heften erzählen hätte können. Aber das wäre dann doch etwas kleingeistig – fast so, als würde man sich nach einem richtig guten Metal-Konzert darüber beschweren, dass die Zugabe zu lang war.

Wertung: 4 von 5 Nietenarmbändern

Beim Lesen hören: Das lässt sich in diesem Fall ganz einfach beantworten: Daniel Warren Johnson hat die Geschichte nämlich nicht nur geschrieben und gezeichnet, sondern auch gleich noch einen Soundtrack dazu eingespielt. Hören kann man ihn auf der Bandcamp-Seite, die er für Jakes fiktive Band Brooticus angelegt hat.

Unser Autor: Markus Binders Ohren wurden im zarten Alter von 12 Jahren erstmals mit Heavy Metal konfrontiert, als ein Freund im Kinderzimmer „Piece of Mind“ von Iron Maiden auflegte. Das unmittelbar einsetzende fassungslose Entsetzen wich schnell einer Faszination, die bis heute anhält. „St. Anger“ hält er übrigens für durchaus anhörbar.

Murder Falcon
Daniel Warren Johnson, Mike Spicer / Image Comics
Paperback,  208 Seiten, $19,99
Deluxe Edition Hardcover, 272 Seiten, $29,99

Alle Abbildungen © Daniel Warren Johnson, Mike Spicer / Image Comics