Familienaufstellung mit Alien

Black Hammer

Jeff Lemire als vielseitigen Comicschaffenden zu bezeichnen wäre, als würde man sagen, Superman sei ein ziemlich kräftiger Kerl. Die enorme künstlerische Bandbreite des kanadischen Zeichners und Autors erstreckt sich von den ruhigen, sensibel erzählten Geschichten aus dem ländlichen Kanada, mit denen er vor etwas mehr als zehn Jahren debütierte, über eigenwillige Fantastik wie SWEET TOOTH oder den UNTERWASSERSCHWEISSER bis zu Mainstream-Superheldencomics für Marvel und DC. Mit BLACK HAMMER bringt er nun die scheinbar widersprüchlichen Seiten seines Schaffens zur Deckung und liefert, kenntnisreich und melancholisch, seine ganz persönliche Sichtweise auf die Superheldencomics des Golden Age.

Eigentlich könnten Abe Slamstein und seine Familie ein zufriedenes Leben führen. Sohn Mark und Schwiegersohn Randall helfen ihm bei der Bewirtschaftung der gemeinsamen Farm, seine Tochter kümmert sich liebevoll um Enkelin Gail, und ein Roboter namens Talkie-Walkie führt gewissenhaft den Haushalt. Letzterer passt vielleicht nicht so recht ins Bild, aber bei genauerem Hinschauen zeigt sich, dass die übrigen Familienmitglieder kaum weniger erstaunlich sind: Mark ist in Wirklichkeit ein außerirdischer Formwandler, Randall ein durch die Dimensionen driftender Raumfahrer, seine angebliche Frau eine Hexe, auf der ein alter Fluch lastet, Gail eine mit Superkräften gesegnete, erwachsene Frau im Körper eines neunjährigen Mädchens und Abe selbst der einstmals berühmte Superheld Abraham Slam.

Blick zurück in die Vergangenheit._Aus dem besprochenen Band.

Beim Kampf gegen einen übermächtigen Gegner wurden die sechs vor etlichen Jahren an einen eigentümlichen Ort teleportiert, an dem sie seither festsitzen – ein aus der Welt gefallenes Kleinstädtchen als zeitloses Abbild des konservativen, ländlichen Amerika. Um dort nicht aufzufallen, geben sie sich als Familie aus und spielen in der Öffentlichkeit die ihnen dabei zugedachten Rollen. Nicht alle von ihnen kommen damit gleichermaßen gut zurecht. Am ehesten noch Abe selbst, der sich mit der Situation abgefunden hat, die einfachen Freunden des harten Landlebens genießt und sogar eine Beziehung zu einer Frau aus dem Ort begonnen hat. Weitaus schwerer tun sich zwei andere aus der dysfunktionalen Familie: Gail, die mit dem Bewusstsein einer 55-jährigen Frau das Leben eines Kindes führen muss und den Erinnerungen ihres früheren Lebens nachhängt, und Mark, der nicht nur vom Mars stammt, sondern auch homosexuell ist – schwer zu sagen, was ihn im Redneck County mehr zum Alien macht.

Außenseiter unter sich._Aus dem besprochenen Band

Nicht alle Ideen, die Lemire präsentiert, sind neu. Dennoch schafft er es, aus wohlbekannten Zutaten ein stimmiges, eigenständiges Werk zu entwickeln – und beim Leser Interesse für seine Figuren zu wecken, so dass man mit ihnen fühlt und mit ihnen leidet. Die kratzigen, atmosphärisch dichten Zeichnungen von Dean Ormston sind weit genug entfernt vom glatten Superhelden-Mainstream, um dem Comic eine eigene, rauere Optik zu geben und die Figuren präzise zu charakterisieren.

Vordergründig ist BLACK HAMMER vor allem eine liebevolle Hommage an klassische Superhelden- und Horrorcomics – vom archetypischen Personal über die nostalgische Gestaltung der Titelseiten bis hin zu der Ankündigung, dass es nach Abschluss des ersten Storybogens keine Fortsetzung geben wird, sondern gleich den genretypischen Reboot. Unterhalb des Offenkundigen durchziehen aber andere, ernsthaftere Motive die Erzählung. Etwa wie Menschen mit Verlusten umgehen, mit Brüchen in ihren Lebenslinien – und vor allem mit dem Druck, nicht das Leben führen zu können, das ihnen entspricht, sondern tagein tagaus eine Maske tragen zu müssen. Einem eigentlich angestaubten Genre solche Fragestellungen abzugewinnen und sie mit einer mitreißenden Geschichte zu beleuchten, ist die große Qualität dieser Serie. Man wäre neugierig, was die Helden des Golden Age unter ihren farbenfrohen Gummihauben dazu zu sagen hätten.

Black Hammer
Jeff Lemire, Dean Ormston, Dave Stewart / Splitter Verlag
Band 1: Vergessene Helden
Gebundene Ausgabe, 184 Seiten, €19,80

Originalausgabe bei Dark Horse Books,
bisher 13 Hefte à $3,99 / 2 Sammelbände à $14,99,
dazu diverse Spinoffs

Wer Jeff Lemire persönlich kennenlernen möchte, hat dazu noch diesen Monat die Gelegenheit: Er ist zu Gast beim Internationalen Comic-Salon Erlangen.

Abbildungen: © Dark Horse Books / Splitter