Höhenflug im Gegenwind

Mockingbird

Zum Weltfrauentag erinnert der ALLESFRESSER daran, wie Chelsea Cain es 2016 wagte, erstmals das böse F-Wort auf dem Cover eines amerikanischen Superheldencomics zu platzieren – und welche Anfeindungen sie daraufhin aushalten musste.

Es ist ja nicht so, dass Frauen im klassischen amerikanischen Superheldencomic keinen Platz hätten. Sie müssen halt jung und wohlgeformt sein, absurd sexualisierte und dazu noch vollkommen unpraktische Kostüme tragen und sich weitestgehend damit zufriedengeben, von männlichen Helden aus misslichen Situationen gerettet zu werden.

In den letzten Jahren hat sich zugegebenermaßen auch hier etwas bewegt, aber nur unter massiven Widerständen und eher am Rande des Geschehens. Das beste Beispiel dafür ist die Mockingbird-Reihe von Chelsea Cain und Kate Niemczyk.

2015 spendierte Marvel seiner Geheimorganisation S.H.I.E.L.D. eine Reihe von Sonderheften zum fünfzigjährigen Jubiläum. Eines davon enthielt eine Kurzgeschichte über die S.H.I.E.L.D.-Agentin Bobbi Morse a.k.a. Mockingbird, geschrieben von Chelsea Cain und gezeichnet von Joëlle Jones, die bei Leserinnen und Lesern so gut ankam, dass Cain beauftragt wurde, die Figur in einer monatlich erscheinenden Heftreihe weiterzuentwickeln. Als Zeichnerin bekam sie die polnische Newcomerin Kate Niemczyk zur Seite gestellt. Und auch Cain selbst war zu diesem Zeitpunkt zwar schon längst als Thriller-Autorin mit Bestseller-Auflagen etabliert, hatte aber bis dahin noch nie Comics geschrieben. Umso bemerkenswerter, zu welchen Höhen sich die beiden Comic-Newbies gleich mit ihrer ersten Kooperation aufschwangen!

Barbara „Bobbi“ Morse tummelt sich als Superagentin Mockingbird schon seit den 1970er Jahren im Marvel-Universum, kam aber selten über die Rolle als Love Interest für männliche Helden und Augenfutter für die (ebenfalls meist männlichen) Leser hinaus. Cain und Niemczyk impften ihr nicht nur ein Captain America-mäßiges Superheldenserum ein, sondern auch ein gesundes Selbstbewusstsein und jede Menge Schlagfertigkeit. Ihre luftig-leichte Agentengeschichte ist nicht nur ausgesprochen unterhaltsam erzählt; sie stellt auch ganz nebenbei die typischen geschlechterspezifischen Erzählmuster auf den Kopf. So muss Bobbi immer wieder ihren männlichen Kollegen aus der Patsche helfen, die sich regelmäßig von Mittelklasse-Superschurken gefangen nehmen lassen – und dabei komischerweise meistens äußerst unzulänglich bekleidet sind (wofür natürlich wunderbar hanebüchene Begründungen geliefert werden). Die spitzen Bemerkungen, mit denen Bobbi diese Situationen kommentiert, lassen dann auch ahnen, warum sie ausgerechnet die Spottdrossel als Namenspatin gewählt hat.

Sogar die Austauschbarkeit ihrer in diesem Fall männlichen Sidekicks wird thematisiert: Lance Hunter und Hawkeye Clint Barton gleichen einander vom kantigen Heldenkinn über den gemeißelten Sixpack bis nach weiter unten (hier muss sich der Leser auf Bobbis Einschätzung verlassen) so sehr, dass es fast schon rührend wirkt, wie entschlossen sie auf ihrer Individualität beharren.

Erzählerisch ist die Reihe ganz auf der Höhe der Zeit. Man sieht, dass Chelsea Cain den wegweisenden Hawkeye-Run von Matt Fraction und David Aja genau studiert hat (was sie auf der Leserbriefseite auch gerne bestätigt). Die Handlung springt virtuos zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her und wird immer wieder unterbrochen durch absurde Bedienungsanleitungen, Landkarten, Yogatipps und andere Albernheiten. Jedes einzelne Panel strotzt vor Gags und popkulturellen Bezügen; teils plakativ im Vordergrund, teils so gut versteckt, dass man sie erst beim zweiten oder dritten Lesen zur Kenntnis nimmt. Und selbst die redaktionelle Seite zu Beginn jeden Hefts liefert mehr Lacher als bei anderen Serien die komplette Handlung.

Vermutlich wäre die Reihe trotz ihrer Qualitäten und durchweg positiver Resonanz bei Kritikerinnen und Kritikern weitgehend unter dem Radar geflogen, hätte Cain sich nicht entschieden, mit dem abschließenden Heft noch eine Schippe draufzulegen. Spätestens das ikonische Cover, auf dem Mockingbird die Aufforderung „ASK ME ABOUT MY FEMINIST AGENDA“ auf dem T-Shirt trägt, brachte für viele traditionsverhaftete männliche Superheldenfans den Hemdkragen dann zum Platzen. Jedenfalls erhielt Cain nach Erscheinen des Hefts innerhalb weniger Tage mehr widerwärtig-frauenverachtende Nachrichten auf X (das zu dieser Zeit noch Twitter hieß, aber auch damals schon bevorzugter Aufenthaltsort hemmungsloser Hetzer war) als in all den Jahren zuvor.

Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler und auch ihr Verlag solidarisierten sich daraufhin öffentlich mit Cain. An der Einstellung der Serie – offiziell aus rein wirtschaftlichen Gründen –  konnte das aber nichts mehr ändern.

Erfreulicherweise ließen sich Cain und Niemczyk von diesem Gegenwind aber nicht entmutigen; ganz im Gegenteil. Für Image Comics konzipierten sie die Serie Man-Eater, die mit bitterer Ironie zum direkten Gegenangriff überging. Sie erzählt von einer Gesellschaft, in der Frauen konsequent unterdrückt werden – bis schließlich eine unerwartete Mutation des Toxoplasmose-Virus dazu führt, dass menstruierende Frauen sich in blutrünstige Katzenmonster verwandeln und ihre Peiniger auf knochenknackende Weise zur Rechenschaft ziehen.

Dass diese Reihe gleich den nächsten Shitstorm auslösen würde, war schon fast zu erwarten. Aus welcher Richtung er kam, war da schon eher überraschend: Diesmal waren es Mitglieder der LGBTQ*-Community, die sich nicht ausreichend repräsentiert fühlten, weil Trans-Frauen unter dieser erzählerischen Prämisse nicht zu Man-Eatern werden konnten.

Man sieht: es ist kompliziert und der Weg zu mehr Gleichberechtigung im Mainstreamcomic ist nach wie vor steinig – aber bleiben wir optimistisch: schwere Brocken aus dem Weg zu räumen war doch seit jeher grundlegendes Superheld*innen-Business!

 

Die Story aus dem S.H.I.E.L.D.-Jubiläumsheft und die acht Ausgaben der Reihe sind, ergänzt um zwei New Avengers-Hefte, in zwei Paperbacks gesammelt erhältlich:

Mockingbird, Vol.1: I Can Explain
Chelsea Cain,  Kate Niemczyk u.a. / Marvel Comics
Paperback, 136 Seiten, $ 17,99

Mockingbird, Vol.2: My Feminist Agenda
Chelsea Cain,  Kate Niemczyk u.a. / Marvel Comics
Paperback, 120 Seiten, $ 15,99

Eine deutsche Ausgabe liegt leider nicht vor.

 

Alle Abbildungen © Joëlle Jones, Kate Niemczyk / Marvel Comics