Der Salon in 22 Szenen (1)
Ein sehr persönliches Reisetagebuch vom 20. Internationalen Comic-Salon Erlangen
Ein sehr persönliches Reisetagebuch vom 20. Internationalen Comic-Salon Erlangen
Der am 19. Juni zu Ende gegangene 20. Internationale Comic-Salon Erlangen zeichnete sich gleich durch eine ganze Reihe von Spitzenwerten aus: 30.000 Besucherinnen und Besucher, 36°C im Schatten, vor allem aber beste Stimmung bei allen Beteiligten. Kein Wunder, war die deutschsprachige Comicszene doch nach vier langen salonlosen Jahren begierig darauf, sich endlich wieder zu treffen und die gemeinsame Leidenschaft für das Erzählen mit Bildern zu feiern. Der ALLESFRESSER schließt sich der allgemeinen Begeisterung an und zieht ein ganz persönliches Fazit – in Form eines Reisetagebuchs in 22 Szenen. Der erste Teil präsentiert die Highlights der Salon-Tage Donnerstag und Freitag.
1
Donnerstag, 11:25 Uhr, irgendwo auf dem Frankenschnellweg
Beste Stimmung im Comic-Mobil auf der Anreise nach Erlangen – zumindest bis einer der Mitreisenden auf die Idee kommt, sich die aktuellen Lokalnachrichten aufs Handy zu holen. Offensichtlich haben die Eingeborenen ihre traditionelle Bergkirchweih diesmal derart intensiv gefeiert, dass Stadt und Kreis Erlangen sich pünktlich zum Comic-Salon in allen Corona-Ranglisten ganz nach oben katapultiert haben.
Nicht die besten Voraussetzungen für eine Veranstaltung, die von der Nähe zwischen Künstlern, Ausstellerinnen und Besuchern lebt. Zum Glück ist die Reisetasche zur Hälfte mit Schnelltests und Masken gefüllt.
2
Donnerstag, 12:11 Uhr, Hotellobby
Endlich angekommen! Einige der Gestalten, die in der Hotellobby herumlungern, sehen schon verdächtig nach Comic-Salon aus. Gar kein Zweifel besteht bei dem Herrn, der beim Einchecken am Schalter neben mir steht: Uli Oesterle scheint sich auch hier einquartiert zu haben. Wenn das mal kein gutes Omen ist! Falls ich später bei seiner Signierstunde nicht zum Zug komme, kann ich ihm immer noch morgen am Frühstückstisch mein Exemplar von „Vatermilch“ unterschieben…
3
Donnerstag, 12:34 Uhr, Halle A
Falls ich jemals Bedenken hatte, ob der zehnte Salonbesuch sich immer noch so gut anfühlt wie der erste, sind sie mit den ersten Schritten in die Halle weggeblasen: ein lebendiges Gewusel fröhlicher Menschen in Spider-Man- und Tim-und-Struppi-T-Shirts, geschäftige Verlagsmitarbeitende hinter den Ständen, Zeichnerinnen und Zeichner auf Tuchfühlung mit ihren Fans, und natürlich: Comics, wohin man schaut. Innerhalb von Sekunden durchströmt mich das vier Jahre lang vermisste Comic-Salon-Kribbeln.
Vielleicht liegt’s ja am tief katholischen Frankenland, dass mich als notorischen Skeptiker plötzlich religiöse Empfindungen erfassen, aber: so ähnlich muss sich das Paradies anfühlen.
4
Donnerstag, 13:45 Uhr, Halle C
Als technologischen Neuerungen aufgeschlossener Mensch bin ich ganz begeistert von der „Mein Salon“-Funktion der offiziellen Comic-Salon-Website. Anstatt mich wie früher mit unterschiedlichsten Programmheften, Flyern und handgeschriebenen Zetteln durch die vier Salon-Tage zu hangeln, kann ich hier einfach alle Veranstaltungen antippen, die mich interessieren, und bekomme einen personalisierten Zeitplan angezeigt. Jetzt muss beim nächsten Update nur noch eine Funktion ergänzt werden, die mir sagt, was zu tun ist, wenn ich gleichzeitig in Halle A, der Orangerie und dem Stadtmuseum sein muss.
5
Donnerstag, 16:10 Uhr, Orangerie
Die erste Veranstaltung, zu der ich es schaffe, ist gleich eine besonders interessante: eine Gesprächsrunde der Edition Moderne über „Alternative Science-Fiction“. Lina Ehrentraut, Matthias Gnehm, Jeremy Perrodeau und Andreas Kiener präsentieren ihre Zukunftsgeschichten, die ganz ohne Laserschwerter und Weltraumschlachten auskommen. Schön zu sehen, dass bei der Edition Moderne der Generationenwechsel geklappt hat und der Verlag auch nach dem wohlverdienten Ruhestand von David Basler ein vielseitiges und hochklassiges Programm auf die Beine stellt!
6
Donnerstag, 19:30 Uhr, Kulturzentrum E-Werk, Kellerbühne
Mit „Spirou oder: Die Hoffnung“ ist Emile Bravo etwas Unglaubliches gelungen: Auf sehr ernsthafte Weise erzählt seine Tetralogie über das von deutschen Truppen besetzte Belgien zu Anfang der 1940er Jahre – und atmet doch auf jeder Seite den Geist der klassischen, kindertauglichen Serie.
Im Gespräch mit Matthias Wieland erfährt man unter anderem, warum ihm das Thema ein ganz persönliches Anliegen ist und wie er Elemente der Publikationsgeschichte von Spirou subtil in die Handlung eingebaut hat.
Schön, dass auch der Übersetzer Uli Pröfrock mit dabei ist! So kann ich ihm endlich mal sagen, dass ich mich jedesmal freue, wenn ich einen Comic lese und sein Name im Impressum auftaucht. Wenn man seinen Arbeitsfleiß und meine Lesewut miteinander verrechnet, dürften wir hier von ca. 2.473 Bänden sprechen. Vorsichtig geschätzt.
7
Freitag, 14:59 Uhr, Orangerie
Ein ganz besonderer Moment naht: Nach zwanzig Jahren regelmäßiger Salonbesuche darf ich erstmals selbst zum Programm beitragen – mit der Moderation einer Gesprächsrunde zu Comicblogs und -Podcasts.
Freundlicherweise haben die Organisatorinnen ein maximal sympathisches Panel zusammengestellt: Sandra Wiegratz (booknapping.de, der Comicklatsch), Andi Prill (Der Tele-Stammtisch; Comic Cookies) und Alex Jakubowski (Comic-Denkblase) machen mir die Aufgabe sehr einfach und plaudern so lebendig aus dem Blogger:innen-Nähkästchen, dass die angesetzte Dreiviertelstunde rasend schnell verfliegt.
8
Freitag, 16:10 Uhr, Schlossgarten
Hoher Besuch auf dem Comic-Salon: Landesfürst Markus I., Regent des Freistaats Bayern, flaniert mit seinem Gefolge durch die Hallen. Beim Gespräch auf der Schlossgartenbühne beweist er immerhin, dass seine Begeisterung für Comics schon etliche Jahre überdauert – und damit ungleich länger als die meisten seiner politischen Positionen.
9
Freitag, 17:00 Uhr, Ladengalerie Hauptstr. 42 – 44
Beim Empfang in der Ausstellung „Populäre Bilder“ wird mir klar, dass ich bisher überhaupt keine Vorstellung davon hatte, welche bedeutende Rolle Comics in der Alltagskultur der Demokratischen Republik Kongo spielen. Die Werke der anwesenden Künstlerinnen und Künstler zeigen jedenfalls eine enorme Bandbreite an Themen, Ausdrucks- und Publikationsformen, vom einfachen handkopierten Heftchen für den Straßenverkauf bis zu bonbonbunten Hochglanzalben im frankobelgischen Stil. Ebenfalls beeindruckend ist das von Asimba Bathy entworfene offizielle Outfit des kongolesischen Comics. Schöne Vorstellung, sich zu besonderen Comic-Anlässen derart in Schale zu werfen!
Schließlich entdecke ich in einer Vitrine noch den besten Comictitel seit langem: „Die Rivalin hat den Kindern die Hexerei beigebracht.“ Leider reichen meine Lingala-Kenntnisse nicht ganz aus, um mir den Inhalt so richtig zu erschließen.
10
Freitag, 21:20 Uhr, Markgrafentheater
Festliche Stimmung im vollbesetzten Markgrafentheater: Künstlerinnen, Verlagsmitarbeiter und Fans freuen sich auf die Verleihung der Max und Moritz-Preise.
Leider hat wieder mal niemand der Moderatorin Hella von Sinnen gesagt, dass an so einem Abend die Preisträgerinnen und Preisträger im Mittelpunkt stehen sollten. Ihre Fragen beantwortet sie deshalb am liebsten gleich selbst und erklärt den Künstlerinnen und Künstlern, was an ihnen und ihren Werken toll oder auch nicht so toll ist. Der Höhepunkt des Fremdschämens ist erreicht, als eine erkennbar irritierte Liv Strömquist mit bizarr-sinnfreiem deutsch-englischem Kauderwelsch bedrängt und anschließend wieder von der Bühne komplimentiert wird.
So bleibt trotz einer wunderbaren Riege an Preisgekrönten – darunter Birgit Weyhe als beste deutschsprachige Comiczeichnerin, Steven Appleby für den besten internationalen und Aisha Franz für den besten deutschsprachigen Comic – leider ein zwiespältiger Eindruck von der Gala. Na ja, immerhin kommt ja noch die Aftershow-Party.
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Samstag, 02:30 Uhr, hinterm Markgrafentheater
Und die hat es in sich. Als ich zum ersten Mal auf die Uhr schaue, ist es schon nachts um halb drei. Aber so ist das halt, wenn man viele liebe Leute endlich mal wieder oder zum ersten Mal trifft. Meine Freunde vom Stuttgarter Comicjuju machen mich mit den Moga Mobo-Jungs bekannt. Die freuen sich, als ich berichte, wie ich in weit zurückliegenden Studententagen die Stuttgarter Kneipen nur deshalb abgeklappert habe, um an ihre dort ausliegenden Hefte zu kommen – und vor allem darüber, dass Heft Nummer 1 immer noch einen besonderen Platz in meiner Sammlung hat.
Als ich mich schließlich wieder in Richtung Hotel schleppe, ist die Party noch in vollem Gange, und ich frage mich, in welcher Verfassung die Starzeichner, die ich da noch fröhlich eingeklemmt zwischen Fans und Nachwuchskünstler:innen auf den Bierbänken sitzen sehe, wohl am nächsten Morgen zu ihren Signierstunden erscheinen werden.
Welche Spuren die Party bei unserem rasenden Reporter hinterlassen hat und was am Samstag und Sonntag noch geschah, erfährt man hier im zweiten Teil unseres Salon-Tagebuchs.
Aufmacherbild: © Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Erich Malter, 2022