Mehr Kuchen!

TKO Studios und die Revolution des Comicmarkts

Ende letzten Jahres ging in den USA der neue Verlag TKO Studios an den Start – mit dem nicht ganz unbescheidenen Anspruch, nicht nur gute Geschichten zu erzählen, sondern ganz nebenbei auch zu revolutionieren, wie Comics vermarktet werden und ihren Weg zum Leser finden. Der ALLESFRESSER wirft einen Blick darauf, wie weit die Revolution ein knappes halbes Jahr später gediehen ist.

Der amerikanische Comicleser ist ein leidensfähiges Wesen. Nach wie vor bekommt er seinen Lesestoff überwiegend homöopathisch dosiert verabreicht, in monatsweise erscheinenden, dünnen Fortsetzungsheften. Das führt nicht nur dazu, dass sich einzelne Handlungsbögen ewig hinziehen, sondern birgt immer auch die Gefahr, dass Serien unterwegs abgebrochen oder liebgewonnene Zeichner und Autoren auf halber Strecke ausgetauscht werden. Und es entspricht ganz und gar nicht der Erwartungshaltung einer Generation, die es gewohnt ist, Fernsehserien staffelweise zu streamen, ohne sich nach irgendwelchen Sendeplänen zu richten.

Genau hier setzt nun die Strategie von TKO an: Der junge Verlag bringt seine Miniserien nicht in Fortsetzungen heraus, sondern immer gleich komplett am Stück. Der potenzielle Binge Reader kann sich die Stories wahlweise in Form von sechs Heften in einer Sammelbox, als günstigen Paperback-Sammelband oder digital zulegen. Damit niemand die Katze im Sack kaufen muss, kann man das erste Heft jeder Serie in voller Länge als Leseprobe herunterladen.

Auch auf Vertriebsseite beschreitet TKO neue Wege: Anstatt mit einem großen Vertriebspartner wie etwa Diamond zusammenzuarbeiten, verkauft TKO ausschließlich über die verlagseigene Website direkt an Leser wie auch an Comicshops.

Was zunächst nach einer guten Idee klingt, weil die üblicherweise auf den Zwischenhändler entfallenden Gewinnanteile so direkt dem Verlag zugutekommen, ist allerdings nicht ganz risikolos: Den einen oder anderen Comichändler dürfte der zusätzliche Aufwand durchaus abschrecken, sich neben der gewohnten Bestellung beim Großhändler auch noch darum zu kümmern, was gerade bei unabhängig operierenden Kleinverlagen erscheint.

Bei TKO selbst gibt man sich jedenfalls optimistisch: Man wolle sich nicht darauf beschränken, sich ein Stück vom Kuchen des schrumpfenden Comicmarkts abzuschneiden, sagte Tze Chun, Herausgeber und Autor von zwei der bereits erschienenen Serien im Interview mit der New York Times. Vielmehr hoffe man, durch die neuen Vertriebswege auch Leser zu erreichen, die nie in einen Comicshop gehen, und so den Kuchen für alle zu vergrößern.

Ob der Verlag in die Erfolgsspur findet, wird sich letzten Endes aber wohl nicht an diesen strategischen Überlegungen entscheiden, sondern an der Qualität des Programms. Und da kann sich der bisherige Output durchaus sehen lassen: Die vier Miniserien, mit denen TKO im Dezember gestartet ist, trumpfen mit großen Namen, packenden Geschichten und unkonventionellen Settings auf.

Die meiste Aufmerksamkeit dürfte dabei SARA auf sich ziehen – schon allein, weil die Namen der Fanlieblinge Garth Ennis und Steve Epting das Cover zieren. Die spannende Geschichte einer russischen Scharfschützin im zweiten Weltkrieg ist auf jeden Fall das grafische Highlight im bisherigen TKO-Portfolio.

THE FEARSOME DR. FANG, eine nostalgische Abenteuergeschichte von Tze Chun, Mike Weiss und Dan McDaid, wirft ein ganz neues Licht auf den klassischen Archetypen des asiatischen Erzschurken, wie man ihn aus zahllosen Pulpheften kennt.

7 DEADLY SINS, ebenfalls geschrieben von Tze Chun, gezeichnet von Artyom Trakhanov, bietet einen tarantinohaften Western in europäisch geprägtem Zeichenstil.

Der Geheimtipp ist aber GOODNIGHT PARADISE von Joshua Dysart und Alberto Ponticelli. Im Mittelpunkt ihrer Erzählung steht der Obdachlose Eddie, der in einen Mordfall verwickelt wird. Auch wenn das Heft zeichnerisch teilweise etwas unbeholfen daherkommt, fasziniert die ungeschönte Beschreibung von Eddies Leben auf der Straße, die man in dieser Form im amerikanischen Mainstream-Comic noch nicht oft gesehen hat.

Die zweite Welle an Veröffentlichungen, angekündigt für Juli, ist ähnlich vielversprechend. Unter anderem erwarten uns eine Science Fiction-Geschichte aus der Feder des derzeit omnipräsenten Jeff Lemire und eine Heist Story von Roxane Gay und Ming Doyle, in der drei Frauen aus unterschiedlichen Generationen den Raubzug ihres Lebens planen.

Wer nun neugierig auf die Comics von TKO geworden ist und die eine oder andere Serie mal ausprobieren möchte, wird allerdings auf Probleme stoßen – zumindest hier von Deutschland aus: Bei einer Direktbestellung über die Website von TKO fallen Versandgebühren an, die ähnlich hoch sind wie der Kaufpreis der Hefte. Nur ganz vereinzelt tauchen sie bisher im Angebot deutscher Comicläden auf – auch die sind es gewohnt, ihr amerikanisches Sortiment über Diamond zu beziehen. Und deutsche Lizenzausgaben zeichnen sich erst einmal auch nicht ab. Die vom ALLESFRESSER angefragten Verlage jedenfalls zeigten kein Interesse an den Serien – mit einer Ausnahme: Dani Books hätte SARA gerne ins Programm genommen, ist allerdings bereits an der Kontaktaufnahme zu TKO gescheitert. Das weckt den Verdacht, dass die Bezeichnung Kleinverlag hier mehr als zutreffend ist und TKO vielleicht tatsächlich nur aus den drei Köpfen besteht, die auch in der Öffentlichkeit auftreten: Direktor Salvatore Simeone, Herausgeber Chun und Chefredakteur Sebastian Girner. Eine umfassendere Verlagstätigkeit einschließlich solider Pressearbeit und internationaler Lizenzverhandlungen wäre bei dieser Mannschaftsstärke natürlich nur schwer zu leisten – und wenn man in die Geschichtsbücher schaut, stellt man fest, dass auch die meisten Revolutionen dann doch ein paar Revolutionäre mehr brauchten, um erfolgreich zu sein. Aber auch wenn die ganz große Umwälzung vorerst noch ausbleibt: Wer sich für intelligente, gut gemachte Comics abseits ausgetretener Superheldenpfade interessiert, sollte die weitere Entwicklung von TKO auf jeden Fall verfolgen.

Alle Abbildungen © TKO Studios