Welcome to the Jungle

Gorillas im Nebel (2)

Welcome to the Jungle
Gorillas im Nebel (2)
11. Dezember 2021

Die erste Con vergisst Du nie: Ausgerechnet in Corona-Zeiten hat sich unser Redaktionsmitglied Klaus zum allerersten Mal im Leben auf eine Comic Con getraut – und gestaunt über die seltsam-wunderbare Welt, die sich ihm dort eröffnete. Seinen streng wissenschaftlichen Expeditionsbericht veröffentlichen wir als Teil zwei unserer Serie GORILLAS IM NEBEL, in der wir Comic-Newbies auf ihren ersten Schritten in die Welt der bunten Bilder begleiten.

Begleitet von einem erfahrenen einheimischen Führer begab ich mich an einem trüben Novembersonntag auf eine Expedition in das finstere Herz der Comicwelt, ein Areal von zwei Messehallen auf den Fildern nahe Stuttgart. Dieses Reservat – „Comic-Con“ genannt – ist einst für bedrohte Arten wie den gemeinen Comicfan (Conventus Comici) eingerichtet worden, um diesen vor dem Verhungern zu bewahren, aber auch von ihm abhängigen Arten das Überleben zu sichern. Einmal im Jahr ziehen seitdem Herden von Conventus Comici von Fern her auf die Fildern, um sich an frischem Lesefutter zu laben. Conventus läuft hierbei immer in Gefahr von Jägern der Gattung gemeiner Messestandbetreiber (Messias Comici) monetär geschoren zu werden, was allerdings durch die symbiotische Verbindung beider Gattungen durchaus befruchtend wirkt.

Messias Comici geht bei seiner Jagd trickreich vor und lenkt seine Opfer mit speziellen Lockstoffen in seine Fänge. Dazu gehört das vage Versprechen auf besonders neues und leckeres Futter, sowie der Möglichkeit dessen kreative Erschaffer zu treffen – eine Aussicht, die Messias leider immer weniger einzuhalten in der Lage ist. Augenscheinlich ist zudem, dass Comici in seinem angestammten Reservat selten geworden ist und sich dort mittlerweile eine Vielzahl von Nahrungskonkurrenten, vor allem der Gattung Cosplayer (Conventus Cosplayi) tummeln. Ob Conventus Cosplayi hierbei Comici vergrämt hat, darf angesichts des possierlichen Äußeren dieser Gattung und seiner relativen Harmlosigkeit (Cosplayi betreibt ein nur äußerlich bedrohlich wirkendes Mimikry als Figur aus Mangas, Computerspielen oder Filmen) eher bezweifelt werden. Eher scheint es so, dass Cosplayi eine frei werdende ökologische Nische ausfüllt und sich hierbei zur Leitgattung entwickelt hat.

Neben Cosplayi und Comici sind auf der Comic-Con in Halle 1 hauptsächlich Angehörige der Gattung Legobaumeister (Conventus Legoi) anzutreffen. Diese bevölkern mit ihren beeindruckenden Bauten die Tribüne. Legoi und Comici sind dabei äußerlich kaum zu unterscheiden, wobei Legoi als marginal geselliger gilt. Dieses Verhalten steht in deutlichem Gegensatz zu Cosplayi, die in bunt gemischten Rudeln durch die Hallen streifen und besonders prächtige Artgenossen mit freudigen Kiekslauten begrüßen. Der Rang innerhalb des Rudels bemisst sich offenbar an der Zahl der Fotografien, die vom jeweiligen Exemplar geschossen werden. Dabei ist ein Hang zu matriarchalischen Strukturen erkennbar und ältere Exemplare sind eher im Nachteil bzw. sterben früh aus. Weiterhin wurde eine, tendenziell männliche Art von Plüschtypen (Conventus Cosplayi Plüschi) beobachtet, die mit bewegliche Ohren auf die Balz gingen. Möglicherweise ist Plüschi noch auf der Comic-Con endemisch, die Art ist somit derzeit als gefährdet einzustufen, wird aber durch die strenge Witterung begünstigt.

Alle Angehörige der Conventus Familie gleichermaßen werden in Halle 3 des Reservats von Schauspielern (Messias Actori) bejagt. Die Jagdstrategie von Actori ist hierbei große Gatter aufzustellen, um sich die hereinziehenden Herden von Conventus zuzutreiben. Actori lauert nun in kleinen Bretterbuden und schnappt von dort aus nach seinen hilflosen Opfern. Anschließend fotografiert er sich mit diesen oder signiert sie, und lässt erst durch Auftragen monetärer Mittel wieder von den hilflos in der Falle steckenden Conventus ab. Die Jagd scheint diese Saison allerdings wenig erfolgreich gewesen zu sein. Nur der Actori Ben Barnes schien als Spitzenprädator in nennenswertem Maß Beute gemacht zu haben, während die heimischen Actori in speziellen Dschungelcamps aufgepäppelt werden müssen. Bei unserer Bewertung der leeren Fallen ist allerdings zu berücksichtigen, dass beim Eintreffen am Sonntag Nachmittag die Jagdsaison bereits großteils abgeschlossen war und die Haltungsbedingungen von Actori durch derzeit grassierende Krankheiten schwierig sind.

In Halle 1 und Halle 3 befanden sich zwei größere Balzplätze, auf denen sich Exemplare der Familie Conventus einfinden konnten, um besagten Actori zu lauschen oder von anderen Vortragenden Weisheit zu erlangen. Inwiefern dies erfolgversprechend war, lässt sich wegen der nur kurzen Forschungsperiode indes nicht sagen.

Doch zurück zum Kern unserer Feldforschung im Reservat und damit zu Comici: Seine relative Seltenheit scheint sich mittlerweile auf die Jagdstrategie seiner Jäger auszuwirken. Diese zielt leider nicht darauf ab, Comici durch raffiniertere Methoden, wie etwa die Bereitstellung prominenter Zeichner oder der Teilnahme weiterer Verlage in größerer Zahl anzulocken, sondern besteht eher in einer Mutation hin zu anderen Conventus-Gattungen. Einzig der Lokalmatador Panini mit seinem Ableger Cross Cult hielt neben den Kleinverlagen die Comic-Fahne hoch, wobei die derzeitige Pandemie natürlich eine Planung unheimlich schwierig macht. Auch die anwesenden Zeichner waren somit eher der zweiten Garde oder dem Nachwuchs zugehörig. Bei einigen besteht allerdings durchaus das Potential für einen Durchbruch an die Spitze der Nahrungskette, falls es ihnen gelingt die gefälligen Einzelzeichnungen zu einer zusammenhängenden, spannenden Geschichte in einem Comic zu vereinen.

Insgesamt war unsere Exkursion auf die Comic-Con finanziell aufwändig, aber für eine erste Feldforschung durchaus erfolgreich und auch recht unterhaltsam. Es ist mir mit Hilfe meines einheimischen Führers gelungen zwei Comic-Exponate für das weitere heimische Studium zu sichern. Ob dies langfristig für einen Erhalt der Gattung Comici auf der Comic-Con genügt, muss die Zukunft unter für den Erhalt der Art hoffentlich günstigeren, gesundheitlichen Rahmenbedingungen zeigen. Den Betreibern des Comic-Con Reservats ist jedenfalls dafür zu danken, dass sie es unter den derzeitigen Bedingungen geschafft haben, diese Veranstaltung auf die Beine zu stellen.

Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Folgen der Reihe findet sich hier.