Weihnachten bei den Waynes

Guter Junge

Wenn der Duft von Weihnachtsgebäck und flackernder Kerzenschein die Stube erfüllen, geht mit den Autoren von Superheldencomics etwas Erstaunliches vor: Unvermittelt holen sie ihre Schützlinge heim aus den ewig tobenden, episch-blutigen Schlachten mit außerirdischen Weltenzerbrechern und packen sie in Geschichten, die vor Warmherzigkeit noch den letzten Schnee schmelzen lassen. Besonders gut funktionieren diese Stories erstaunlicherweise mit dem bärbeißigsten aller Helden, Batman himself. Auch dieses Jahr legt DC uns wieder eine Geschichte mit dem Dunklen Ritter unter den Baum, mit der man sich wunderbar die Zeit bis zur Bescherung vertreiben kann.

Die Historie der Weihnachtsgeschichten mit dem Mitternachtsdetektiv ist lang. Schon 1942 sorgten Batman und Robin dafür, dass ein unschuldig des Mordes Verdächtigter freikam und Weihnachten mit seiner Familie feiern konnte. Seither hatten die beiden unter anderem mit so jahreszeittypischen Vorkommnissen wie falschen Weihnachtsmännern, einem kriminellen Weihnachtsbaumsyndikat, Schneeball- und Christbaumkugelschlachten und auf rätselhafte Weise verschwundenen Rentieren zu tun.

Den Standard, an dem sich alle folgenden Batman-Weihnachtsgeschichten messen lassen müssen, hat schließlich 2011 Lee Bermejo mit BATMAN: NOEL, seiner famosen, ins DC-Universum übertragenen Version von Charles Dickens‘ „A Christmas Carol“ gesetzt. Seine packende, den Pathos nicht scheuende Geschichte um einen kleinen Kriminellen, der zum Spielball zwischen Batman und dem Joker wird, präsentiert er in fotorealistischen Zeichnungen, die einen den kalten Winterwind, der durch Gothams Straßen pfeift, geradezu spüren lassen. Fast meint man, beim Lesen das Knirschen des Schnees unter Batmans schwarzen Gummisohlen zu hören.

Hyperrealimus bis zur Schneeflocke. Aus: Lee Bermejo: Batman Noël

Tom King und David Finch machen nun mit „Guter Junge“ alles ganz anders als Bermejo – und genau deshalb alles richtig. Mit gerade einmal acht Seiten Umfang ist ihr Beitrag zum Thema eher eine Miniatur, allerdings eine hoch verdichtete. Anhand der Geschichte um den vom Joker misshandelten und zum Kampf abgerichteten Hund Ace thematisieren die beiden die Fragen, die im Zentrum des Batman-Mythos stehen: Kann man eine Traumatisierung jemals ganz überwinden? Und welche Spuren bleiben zurück? Und ganz nebenbei beleuchten sie, dem festlichen Anlass angemessen, das besondere Verhältnis zwischen Butler Alfred und seinem Arbeitgeber und Ziehsohn Bruce Wayne, emotional und mit augenzwinkerndem Humor.

Patchwork-Familie unterm Weihnachtsbaum. Aus: Tom King, David Finch: Good Boy.

Wer die fortlaufende Batman-Heftreihe liest, die Tom King seit 2016 schreibt, der weiß, warum der Amerikaner als einer der besten Erzähler im Mainstream-Comic gilt. Versiert nutzt er die spezifischen erzählerischen Mittel des Mediums: Panels werden mit winzigen, aber entscheidenden Veränderungen wiederholt; parallele Handlungsstränge spiegeln einander bis ins Detail, schnelle und laute Szenen kontrastieren mit ganz ruhigen. Diese beinahe musikalisch anmutende Herangehensweise könnte man als Formalismus werten, würde King sie nicht immer in die Dienste der Erzählung stellen und vor allem dafür nutzen, die Charaktere hinter den Jahrzehnte alten Figuren ganz frisch und prägnant herauszuarbeiten. Durch dieses Interesse am erzählerischen Experiment gewinnt die Batman- Reihe jedenfalls eine Qualität, die man bei Kings Vorläufer Scott Snyder durchaus vermissen konnte.

Mit dem größten Weihnachtsgeschenk können sich deshalb dieses Jahr die Comicfreunde beschenken, die die letzten zwei Jahre in der Festung der Einsamkeit verbracht haben und nun durch „Good Boy“ erst auf Tom Kings Batman-Geschichten stoßen: Satte 60 Hefte gibt es für sie bereits zu entdecken, einen Großteil davon auch schon in deutscher Übersetzung. Und vielleicht macht der Paketdienst ja sogar ein Schleifchen drum.

In den USA erschien „Good Boy“ bereits 2016 im Batman Annual #1, auf deutsch ist die Story jetzt im Sammelband zur Miniserie „Batman und Signal“ enthalten. 2017 wurde „Good Boy“ mit dem Eisner-Award als beste Kurzgeschichte des Jahres ausgezeichnet.

 

Guter Junge
Tom King, David Finch, Gabe Eltaeb / Panini Comics
Aus dem Amerikanischen von Stefan Pannor
in:
Batman Sonderband: Batman und Signal
Taschenbuch, 100 Seiten, €12,99

Batman: Noël wurde von Panini in einer hochwertigen Großformatausgabe neu aufgelegt, die inzwischen leider verlagsvergriffen ist, im Fachhandel aber noch zu bekommen sein sollte.

Abbildungen:
1: © Markus Binder / ALLESFRESSER
2: © Lee Bermejo / DC Comics
3: © David Finch / DC Comics
4: © Cully Hamner / DC Comics + Panini Comics
5: © Lee Bermejo / DC Comics + Panini Comics