Die Historie der Weihnachtsgeschichten mit dem Mitternachtsdetektiv ist lang. Schon 1942 sorgten Batman und Robin dafür, dass ein unschuldig des Mordes Verdächtigter freikam und Weihnachten mit seiner Familie feiern konnte. Seither hatten die beiden unter anderem mit so jahreszeittypischen Vorkommnissen wie falschen Weihnachtsmännern, einem kriminellen Weihnachtsbaumsyndikat, Schneeball- und Christbaumkugelschlachten und auf rätselhafte Weise verschwundenen Rentieren zu tun.
Den Standard, an dem sich alle folgenden Batman-Weihnachtsgeschichten messen lassen müssen, hat schließlich 2011 Lee Bermejo mit BATMAN: NOEL, seiner famosen, ins DC-Universum übertragenen Version von Charles Dickens‘ „A Christmas Carol“ gesetzt. Seine packende, den Pathos nicht scheuende Geschichte um einen kleinen Kriminellen, der zum Spielball zwischen Batman und dem Joker wird, präsentiert er in fotorealistischen Zeichnungen, die einen den kalten Winterwind, der durch Gothams Straßen pfeift, geradezu spüren lassen. Fast meint man, beim Lesen das Knirschen des Schnees unter Batmans schwarzen Gummisohlen zu hören.
Tom King und David Finch machen nun mit „Guter Junge“ alles ganz anders als Bermejo – und genau deshalb alles richtig. Mit gerade einmal acht Seiten Umfang ist ihr Beitrag zum Thema eher eine Miniatur, allerdings eine hoch verdichtete. Anhand der Geschichte um den vom Joker misshandelten und zum Kampf abgerichteten Hund Ace thematisieren die beiden die Fragen, die im Zentrum des Batman-Mythos stehen: Kann man eine Traumatisierung jemals ganz überwinden? Und welche Spuren bleiben zurück? Und ganz nebenbei beleuchten sie, dem festlichen Anlass angemessen, das besondere Verhältnis zwischen Butler Alfred und seinem Arbeitgeber und Ziehsohn Bruce Wayne, emotional und mit augenzwinkerndem Humor.
Wer die fortlaufende Batman-Heftreihe liest, die Tom King seit 2016 schreibt, der weiß, warum der Amerikaner als einer der besten Erzähler im Mainstream-Comic gilt. Versiert nutzt er die spezifischen erzählerischen Mittel des Mediums: Panels werden mit winzigen, aber entscheidenden Veränderungen wiederholt; parallele Handlungsstränge spiegeln einander bis ins Detail, schnelle und laute Szenen kontrastieren mit ganz ruhigen. Diese beinahe musikalisch anmutende Herangehensweise könnte man als Formalismus werten, würde King sie nicht immer in die Dienste der Erzählung stellen und vor allem dafür nutzen, die Charaktere hinter den Jahrzehnte alten Figuren ganz frisch und prägnant herauszuarbeiten. Durch dieses Interesse am erzählerischen Experiment gewinnt die Batman- Reihe jedenfalls eine Qualität, die man bei Kings Vorläufer Scott Snyder durchaus vermissen konnte.
Mit dem größten Weihnachtsgeschenk können sich deshalb dieses Jahr die Comicfreunde beschenken, die die letzten zwei Jahre in der Festung der Einsamkeit verbracht haben und nun durch „Good Boy“ erst auf Tom Kings Batman-Geschichten stoßen: Satte 60 Hefte gibt es für sie bereits zu entdecken, einen Großteil davon auch schon in deutscher Übersetzung. Und vielleicht macht der Paketdienst ja sogar ein Schleifchen drum.