Sag zum Abschied leise Iä!

Alan Moore hat genug

Sag zum Abschied leise Iä!
Alan Moore hat genug
04. September 2017

In Zeiten, zu denen es sich sogar Päpste erlauben, die Vorzüge des Pensionärsdaseins zu genießen, sollte es keiner besonderen Erwähnung wert sein, wenn sich ein Comicautor in den Ruhestand verabschiedet. Dass Alan Moores entsprechende Ankündigung dennoch beträchtliche Wellen geschlagen hat, zeigt, dass er nach wie vor einer der ganz fetten Karpfen im Teich ist.
Zum Abschied führt er uns nun noch einmal durch die unheimlichen Welten von HP Lovecraft – und versammelt ein letztes Mal eine Gruppe guter alter Bekannter.

From Hell, V wie Vendetta, die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen und über allem thronend natürlich Watchmen, dazu zahllose außergewöhnliche Superhelden-Geschichten und eigene Serien wie Tom Strong oder Promethea – der Beitrag, den Alan Moore zur Comicgeschichte geleistet hat, ist monumental und hat das Medium inhaltlich wie formal geprägt. Als einer der ersten nahm er den Comic als Erzählform ernst und erkannte dessen spezifische erzählerische Mittel wie kaum ein Autor vor ihm. Wer sich klarmachen möchte, wie im Comic durch das mit- und nebeneinander von Wort und Bild, durch die Wahl von Bildausschnitten, durch Seitenlayout und Panelfolge ein Erzählrhythmus angeschlagen werden kann, der findet in Moores Werk genügend Anschauungsmaterial. Auf der inhaltlichen Ebene bereicherte Moore gerade auch den Mainstream-Comic um ernsthafte, erwachsene Themen: Seit Watchmen kann es sich kein Superheldencomic mehr erlauben, nur noch sinnlose Prügeleien von Muskelpaketen in bunten Gummianzügen zu zeigen; der Blick auf den Menschen hinter der Maske ist inzwischen obligatorisch.

Bei einer Pressekonferenz anlässlich der Veröffentlichung seines Romans Jerusalem gab Moore im vergangenen Jahr nun bekannt, sich aus dem Comicgeschäft zurückziehen zu wollen. Er habe den Eindruck, genug für den Comic getan zu haben, und wolle nicht unnötig in ausgetretenen Pfaden wandeln. „Ich habe vielleicht noch 250 Seiten an Comics zu bieten“, sagte er damals. Für seine Leser eine zwiespältige Ankündigung: bei aller Freude auf die damit angekündigten Hefte schwingt bereits das Bedauern mit, dass anschließend diese mächtige Quelle, die viele Fans über Jahrzehnte mit frischen Geschichten versorgt hat, versiegen wird.

Vorletzte Worte: die Horror-Reihe Providence

Um so mehr durfte man gespannt sein, ob Moore ein würdiger Abschied gelingen würde. Inzwischen weiß man mehr: Die sehr empfehlenswerte Heftreihe Providence ist inzwischen auch in Deutschland in Form dreier Sammelbände komplett erschienen (eine Rezension auf dem ALLESFRESSER folgt in Kürze) und bildet den Schlusspunkt einer langjährigen künstlerischen Auseinandersetzung mit den Welten des amerikanischen Horrorautors HP Lovecraft und dessen Geschöpfen („Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!“).

Krönender Abschluss? Der finale Band der Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen

Und vor einigen Wochen hat Moore nun auch verraten, mit welchem Werk er sich endgültig von der Bühne verabschieden wird: Konsequenterweise wird es als krönenden Abschluss seines Schaffens noch einen letzten Band der League of Extraordinary Gentlemen geben, der langlebigen und vielschichtigen, mit Zeichner Kevin O’Neill realisierten Reihe, die einst mit ihren ersten Bänden als klassischer Abenteuercomic startete, einen misslungenen Film überstand, mit dem Schwarzen Dossier die Grenzen des klassischen Comics sprengte, zuletzt allerdings durch eine Ausweitung der handelnden Personen, Zeiten und Schauplätze etwas zerfaserte. Wer Alan Moores Ehrgeiz kennt, darf erwarten, dass nun die über 17 Jahre gesponnenen Handlungsfäden kunstoll zusammengeführt werden – auf gewohnt ungewohnte und erwartbar unerwartete Weise.

Ein vollständiger Überblick über Alan Moores umfangreiches Werk ist an dieser Stelle nicht möglich.
Providence ist im Original bei Avatar Press erschienen, auf deutsch bei Panini (3 Bände, SC, je € 19,99 oder als limitiertes HC je € 39).
Die verschiedenen Bände der League of Extraordinary Gentlemen werden im Original von Knockabout Comics verlegt und sind auf deutsch ebenfalls bei Panini erhältlich.

Abbildungen:
Portrait Alan Moore © Mitch Jenkins / Knockabout Comics
Providence-Cover © Panini Comics
League of Extraordinary Gentlemen Promo © Knockabout Comics